von RA Dr. Reinhard Voppel
in: HLH 5/2013, 78 (aktualisiert)

Öffentliche Auftraggeber erteilen Aufträge an Architekten/Ingenieure regelmäßig als Stufenaufträge: Fest beauftragt werden zunächst etwa nur die Leistungen der Leistungsphasen 1 und 2, weitere Leistungen werden erst zu einem späteren Zeitpunkt abgerufen, ohne dass der Auftragnehmer einen Anspruch auf weitere Beauftragung hat. Welche Folgen hat es, wenn vor einem Abruf weiterer Leistungen eine Neufassung der HOAI in Kraft tritt?

Die Problematik ist für frühere Fassungen der HOAI gerichtlich geklärt gewesen, und auch in der Literatur bestand Einigkeit: Da der Auftrag über die weiteren Leistungen erst mit dem Abruf zustande kommt, gilt nach den jeweiligen Überleitungsvorschriften die Fassung der HOAI, die zum Zeitpunkt des Abrufs in Kraft ist (z. B. OLG München, Urteil vom 14. 11. 195 – 28 U 4127/94 –; OLG Düsseldorf BauR 1997, 340). Es handelt sich nämlich in solchen Fällen um einen Optionsvertrag: Der Auftraggeber kann einseitig frei entscheiden, ob (und meistens auch in welchem Umfang) er weitere Leistungen abruft. Zwar sind die Konditionen für den Fall des Abrufs bereits im Sinne eines Rahmenvertrages festgelegt; diese werden aber erst durch den tatsächlichen Abruf aktualisiert.
Bei der Neufassung 2009 ist die Frage erneut streitig geworden, und da 2013 eine weitere Neufassung der HOAI zu erwarten ist, die eine identische Überleitungsregelung wie die Fassung 2009 haben wird, bleibt diese Frage weiterhin aktuell.
Unter Berufung auf einen Erlass des Bundesbauministeriums anlässlich des Inkrafttretens der HOAI 2009 wird zu § 55 HOAI 2009 die Ansicht vertreten, dass die Altfassung der HOAI auch für solche Leistungen maßgeblich bleibt, die erst nach Inkrafttreten der Neufassung abgerufen worden sind. Das Bundesbauministerium stützte seine Ansicht auf eine Entscheidung des BGH (BauR 2009, 264); diese Entscheidung betrifft allerdings den vorliegenden Sachverhalt überhaupt nicht und stützt daher auch die Ansicht des Ministeriums nicht.
Der BGH hatte vielmehr darüber zu entscheiden, ob die Honorarvereinbarung bei Auftragserteilung (§ 7 Abs. 1 HOAI 2009) getroffen sei, wenn sie bereits im Ursprungsvertrag vollständig enthalten ist, die zugrundeliegenden Leistungen aber erst zu einem späteren Zeitpunkt abgerufen und damit vertraglich wirksam vereinbart werden. Bis zum Abruf besteht lediglich das einseitige Recht des Auftraggebers, den Vertrag um weitere Leistungen zu erweitern, erst durch Ausübung dieses Optionsrechts werden die abgerufenen Leistungen Vertragsgegenstand. Der BGH bejaht die Honorarvereinbarung bei Auftragserteilung, da die Honorarvereinbarung im Ursprungsvertrag, soweit sie sich auf erst später abzurufende Leistungen bezieht, unter der aufschiebenden Bedingung steht, daß der Abruf weiterer Leistungen erfolgt; sie ist damit bei Abschluss des Ursprungsvertrages noch nicht wirksam. Erst mit Abruf und damit Auftragserteilung für die weiteren Leistungen wird auch die darauf bezogene Honorarvereinbarung wirksam. Aus der Entscheidung des BGH ergibt sich damit, dass die Auftragserteilung oder in der Diktion der HOAI die „vertragliche Vereinbarung“ im Falle eines Abrufauftrags erst mit dem jeweiligen Abruf der Leistungen erfolgt. Daher greift für diese Leistungen, wenn der Abruf nach Inkrafttreten der Neufassung erfolgt, diese ein.
Dieser Ansicht hat sich nunmehr das LG Koblenz, Urteil vom 28.02.2013 – 4 O 103/12 – angeschlossen. Das Gericht hatte einen Stufenauftrag zu bewerten und entscheidet eindeutig, dass für die Leistungen, die erst nach Inkrafttreten der Neufassung der HOAI abgerufen werden, die Neufassung gilt. Es setzt sich dabei auch mit der Ansicht auseinander, die unter Berufung auf das Urteil des BGH eine Komplettgeltung der Altfassung vertritt, und weist diese zutreffend zurück.
Damit ist allerdings die Problematik noch nicht ausgeschöpft. Unabhängig von der Frage, welche Fassung der HOAI für einen bestimmten Auftrag gilt, ist für das Honorar in erster Linie die Vereinbarung der Parteien maßgeblich, § 7 Abs. 1 HOAI. Diese Vereinbarung wird durch eine Neufassung der HOAI nicht einfach hinfällig. Sie ist allerdings – (nur) für die unter der Neufassung abgerufenen Teile der Leistung – anhand der dann geltenden Neufassung zu überprüfen. Hält sich die Vereinbarung auch unter Berücksichtigung der Honorarregelungen im vorgegebenen Honorarrahmen zwischen Mindest- und Höchstsatz, bleibt sie trotz der Neufassung der HOAI wirksam.
Da die Novellierung der HOAI 2009 grundlegend in das bisherige System eingegriffen hat, kann es zu sehr unterschiedlichen Konstellationen kommen. Die Honorarerhöhung um 10 % führt grundsätzlich dazu, dass bei Vereinbarung des Mindestsatzes auf der Grundlage der HOAI 1996 für die nach Inkrafttreten vereinbarten Leistungen eine Mindestsatzunterschreitung gegeben ist und damit nach dem „neuen“ Mindestsatz abzurechnen ist. Da gleichzeitig die Kostenfeststellung als maßgebliche Grundlage der Ermittlung der anrechenbaren Kosten und die Anrechnung der mitverarbeiteten Bausubstanz weggefallen sind, kann die Berechnung nach der vertraglich vereinbarten Grundlage auch zu einer Höchstsatzüberschreitung führen. Es ist also in jedem Einzelfall zu prüfen, welche Konsequenzen aus der Geltung der Neufassung der HOAI abzuleiten sind.

Dieselben Prinzipien gelten auch für die HOAI 2013, deren Übergangsregelung der Sache nach nicht von der der HOAI 2009 abweicht. Hier stellt sich aber die besondere Problematik, daß auch die Leistungsbilder inhaltlich geändert worden sind. Wie ist das im Übergangsbereich zu handhaben?
Die in der HOAI formulierten Grundleistungen sind nicht als solche, sondern lediglich aufgrund der Bezugnahme der Parteien Gegenstand der vom Auftragnehmer geschuldeten Leistungen. Die vertragliche Vereinbarung („Der Auftragnehmer schuldet sämtliche in Anlage 11 zur HOAI aufgeführten Grundleistungen“) bezieht sich grundsätzlich auf die aktuelle Fassung der HOAI, wenn der Vertrag keine besonderen abweichenden Regeln enthält. Dies bedeutet, daß bei Inkrafttreten der Neufassung der HOAI 2013 zwar deren Honorarregeln, nicht aber die dort neu formulierten Grundleistungen gelten. Insoweit bleibt es bei den Grundleistungen gemäß HOAI 2009. Dann ist allerdings § 8 Abs. 2 HOAI 2013 zu beachten, da dann nicht alle Grundleistungen bzw. wesentliche Teile von Grundleistungen nicht übertragen sind, so daß das Honorar entsprechend gemindert werden muß.

Nachdem das OLG Koblenz (Urteil vom 6. 12. 2013 – 10 U 344/13 –) die Auffassung des LG Koblenz bestätigt, allerdings die Revision zugelassen hatte, hat nunmehr auch der BGH (Urteil vom 18. 12. 2014 – VII ZR 350/13 –) die Auffassung des LG Koblenz bestätigt. Die Entscheidungen beziehen sich sämtliche auf die HOAI 2009, finden jedoch auf die identische Überleitungsregelung der HOAI 2013 ebenso Anwendung. Damit ist nunmehr Rechtssicherheit geschaffen. Für Planer bedeutet das, daß sie in jedem Fall prüfen sollten, ob der Mindestsatz der neuen Fassung der HOAI höher ausfällt als das nach der alten Fassung der HOAI vereinbarte Honorar. In diesem Fall können sie einen Anpassungsanspruch geltend machen. Zu beachten sind jeweils die auf den Mindestsatz bezogenen Vorschriften der Neufassung der HOAI.