in: Beratende Ingenieure 5/2005, 38

OLG München (Senat Augsburg), Urteil vom 15. 9. 2004 – 27 U 938/99 -, BauR 2005, 406

Der BGH hat in einem Urteil von 2002 (BauR 2002, 817) zur Frage der Anwendung des § 22 HOAI auf die Technische Gebäudeausrüstung Stellung genommen. Nunmehr hat das OLG München in einem sehr ausführlichen Urteil den Anlagenbegriff – teilweise abweichend vom BGH – präzisiert.
Der Kläger war vom Beklagten mit der Planung von Anlagen der Technischen Gebäudeausrüstung beauftragt worden. Auftragsgegenstand waren unter anderem Leistungen für eine Zentrale Versorgungsanlage (ZVA), in der Heißwasser bereitet wird, ein Fernwärmenetz zur Verteilung des Wassers und die Heizungsanlagen in 66 Gebäuden, die durch das Fernwärmenetz versorgt werden. Der Kläger hat die vorgenannten Anlagen und die Anlagen sämtlicher Gebäude je für sich getrennt abgerechnet. Der Beklagte ist der Auffassung, daß es sich insgesamt um eine Anlage handele.
Das OLG zieht zur Beurteilung zum Teil den auf den Mustern der RBBau basierenden Vertrag heran, stellt aber klar, daß nach der HOAI dieselben Grundsätze gelten.
Das Gericht ermittelt, wie der Begriff der Anlage honorarrechtlich zu bestimmen ist. Im Rahmen des nach § 69 Abs. 7 HOAI entsprechend anzuwendenden § 22 HOAI ist der Begriff „Gebäude“ durch Anlage zu ersetzen. Mit der zitierten Entscheidung des BGH geht das OLG davon aus, daß mehrere Anlagen vorliegen, wenn die einzelnen Teile verschiedenen Funktionen zu dienen bestimmt sind und unter Aufrechterhaltung ihrer Funktionsfähigkeit je für sich betrieben werden können.
Sachverständig beraten, weil es auf die technischen Gegebenheiten der zu beurteilenden Anlage(n) ankomme, stellt das Gericht fest, daß die ZVA, das Primärnetz, das Sekundärnetz und die Anlagen innerhalb jedes einzelnen Gebäudes nicht unselbständige Anlagenteile, sondern selbständige Teilanlagen seien, die jeweils für sich autark und nur zu einem Ganzen zusammengestellt seien.
Allerdings definiert die HOAI den Begriff der Anlage im honorarrechtlichen Sinne nicht. Der Begriff der „Anlage der Wärmeversorgungstechnik“ könnte so verstanden werden, daß damit alle Teile oder Elemente eines der Wärmeversorgung dienenden Systems in ihrer Gesamtheit zu verstehen seien, so daß ein gebäudeorientierter Ansatz jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn die Gebäude durch ein einheitliches Netz versorgt werden.
Dem widersprechen aber nach Ansicht des Gerichts die Objektliste des § 72 HOAI und der Grundsatz, daß eine Anlage immer nur einer Honorarzone zugehören kann. Nach der Objektliste sind Zentralen für Fernwärme der Honorarzone III zugeordnet, Fernheiznetze der Honorarzone II und Gebäudeheizungsanlagen der Honorarzone I oder II. Daraus schließt das Gericht, daß entsprechende Anlagen trotz gemeinsamer Funktion und eines einheitlichen, übergeordneten Zwecks als selbständig anzusehen sind; der Systemzusammenhang könne Anlagenteile, die nach der Objektliste selbständige Anlagen bilden, nicht zu einer einheitlichen Anlage zusammenfassen.
Mit dem Sachverständigen gelangt das Gericht zu der Einschätzung, daß die verschiedenen Teilanlagen auch unterschiedlichen, selbständigen Funktionen erfüllten: Die ZVA dient der Wärmeversorgung, das Primär- und das Sekundärnetz dienen dem Transport und in gewissem Sinne auch als Energievorrat. Zwischen diesen beiden Netzen konstatiert das Gericht erhebliche Unterschiede, die sie zu selbständigen Anlagen machen. Die Ausstattung der einzelnen Gebäude besteht aus drei Subsystemen, nämlich den Unterstationen, die die Funktion von Wärmeerzeugern haben und das Wasser aus dem Sekundärnetz in die Gebäude überführt, den Leitungen, die in erster Linie keine Transport-, sondern Wärmeverteilfunktion haben, und den Radiatoren. Diese Systeme sind unselbständig und bilden jeweils zusammengenommen eine Anlage. Da die Transportnetze selbständige Anlagen sind, vermögen sie die Anlagen in den verschiedenen Gebäuden nicht zu einer Anlage zusammenzufassen. Vielmehr müssen die Anlagen in jedem Gebäude einzeln geplant werden. Die Anlagen sämtlicher Gebäude sind daher getrennt abzurechnen, ggf. unter Beachtung von Wiederholungsfaktoren bei vergleichbaren Anlagen im Sinne des § 22 Abs. 2 HOAI. Die unterschiedlichen – wenn auch bezogen auf das Gesamtsystem zweckmäßig einander zugeordneten – Funktionen können die als selbständig eingeordneten Anlagen auch unabhängig voneinander erfüllen, auch wenn sie erst als Ganzes gesehen eine sinnvolle Einheit bilden.
Als Ergebnis faßt das Gericht zusammen, daß die einzelnen Elemente eine technischen Systems, das angesichts seiner Dimensionen als Gesamtsystem zu qualifizieren ist, letztlich dazu dienen, die Erwärmung der einzelnen angeschlossenen Gebäude sicherzustellen. Ein derartiger übergeordneter Zweck sei jedoch nicht geeignet, eine gegebene funktionelle Selbständigkeit der verschiedenen Teile aufzuheben, wenn auch die HOAI in der Objektliste von einer solchen Selbständigkeit ausgehe.
Das OLG München weicht in der Auslegung des Anlagenbegriffs bzw. der Frage der Selbständigkeit der Anlagen wohl von der Ansicht des BGH ab, der der Zusammenfassung von Systemen nach funktionellen und technischen Kriterien zu einer Einheit mehr Gewicht einräumt, also den verbindenden, übergeordneten Zweck in den Vordergrund stellt. Das OLG hat daher die Revision zum BGH zugelassen.